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[Table of Contents]
- Nr. Ministerrat, Wien, 23. Juli 1914
- Protokoll des zu Wien am 23. Juli 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.
- I Mitteilungen über die politische Lage
- II Verwendung des Landsturmes im Falle einer Mobilisierung
- III
- IV Gesetzliche und administrative Maßnahmen im Falle einer Mobilisierung
- V Administrative Vorkehrungen auf der Basis des Kriegsleistungsgesetzes und interne administrative Vorbereitungen für den Fall einer Mobilisierung
Nr. Ministerrat, Wien, 23. Juli 1914
- III. Schließung der
- XXI. Session des Reichsrates; Einstellung der Sitzungen des Permanenzausschusses des Abgeordnetenhauses für Sozialversicherung; Schließung der Landtage von Dalmatien, Krain, Görz, Mähren, Oberösterreich, Niederösterreich, Schlesien und Steiermark und Vertagung der permanenten Landtagsausschüsse.
Protokoll des zu Wien am 23. Juli 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.
I Mitteilungen über die politische Lage
I. Der Ministerpräsident bemerkt einleitend, er habe sich unter außerordentlichen Verhältnissen veranlasst gesehen, den Ministerrat einzuberufen. Die aus Anlass des fluchwürdigen Attentates vom 28. Juni geführten Untersuchungen hätten in unwiderleglicher Weise dargetan, dass in Bosnien und der Hercegovina nicht nur ein weitverzweigtes Netz großserbischer Propaganda bestehe, sondern dass diese Bewegung von Belgrad aus genährt werde und dass damit auch Persönlichkeiten des Königreiches Serbien in höherer offizieller Stellung unleugbar in Verbindung stehen1. Was das Faktum vom 28. Juni selbst anbelangt, so sei das Attentat zwar, wie bekannt, durch Angehörige Bosniens und der Hercegovinav verübt, der Plan aber in Belgrad ausgeheckt und von dort aus in die Wege geleitet worden und es seien offizielle serbische Persönlichkeiten unter den Urhebern und Förderern jenes Verbrechens gewesen. Diese Sachlage nötige zu einer ernsten Auseinandersetzung mit dem Königreiche Serbien, und zu diesem Zwecke sei am heutigen Tage ein bedeutungsvoller Schritt des auswärtigen Amtes bei der serbischen Regierung unternommen worden2. Dieser Schritt habe den Zweck, die genannte Regierung zur feierlichen Übernahme ganz konkreter Leistungen und Verbindlichkeiten zu veranlassen, die die volle Gewähr für das Aufhören der von Belgrad aus gegen die Integrität der Monarchie gerichteten Aktion verbürgen. Der serbischen Regierung sei eine 48-stündige Frist für die Annahme oder Ablehnung unserer Forderungen gegeben. Diplomatische Auseinandersetzungen seien nach der Sachlage und nach der Konstruktion der österreichisch-ungarischen Note ausgeschlossen. Serbien werde eine bündige Antwort zu geben haben. Erfolgt letztere in der gegebenen Frist überhaupt nicht oder nicht in befriedigender Weise, so erscheine die Angelegenheit vom diplomatischen Standpunkte aus erledigt und ihre weitere Austragung würde auf militärischem Wege statthaben. Welchen Lauf die Dinge weiterhin nehmen würden, hänge von den Entschließungen der serbischen Regierung ab3. Es habe sich aber bereits jetzt die bedingungsweise Notwendigkeit ergeben, für den Fall des Versagens der diplomatischen Mittel militärische Vorbereitungen zu treffen und zu diesem Zwecke sei sub conditione ein Ah. Mobilisierungsbefehl erbeten worden4. Der Ministerrat nimmt diese Mitteilungen zur Kenntnis.
I. Der Ministerpräsident bemerkt einleitend, er habe sich unter außerordentlichen Verhältnissen veranlasst gesehen, den Ministerrat einzuberufen. Die aus Anlass des fluchwürdigen Attentates vom 28. Juni geführten Untersuchungen hätten in unwiderleglicher Weise dargetan, dass in Bosnien und der Hercegovina nicht nur ein weitverzweigtes Netz großserbischer Propaganda bestehe, sondern dass diese Bewegung von Belgrad aus genährt werde und dass damit auch Persönlichkeiten des Königreiches Serbien in höherer offizieller Stellung unleugbar in Verbindung stehen5. Was das Faktum vom 28. Juni selbst anbelangt, so sei das Attentat zwar, wie bekannt, durch Angehörige Bosniens und der Hercegovinav verübt, der Plan aber in Belgrad ausgeheckt und von dort aus in die Wege geleitet worden und es seien offizielle serbische Persönlichkeiten unter den Urhebern und Förderern jenes Verbrechens gewesen. Diese Sachlage nötige zu einer ernsten Auseinandersetzung mit dem Königreiche Serbien, und zu diesem Zwecke sei am heutigen Tage ein bedeutungsvoller Schritt des auswärtigen Amtes bei der serbischen Regierung unternommen worden6. Dieser Schritt habe den Zweck, die genannte Regierung zur feierlichen Übernahme ganz konkreter Leistungen und Verbindlichkeiten zu veranlassen, die die volle Gewähr für das Aufhören der von Belgrad aus gegen die Integrität der Monarchie gerichteten Aktion verbürgen. Der serbischen Regierung sei eine 48-stündige Frist für die Annahme oder Ablehnung unserer Forderungen gegeben. Diplomatische Auseinandersetzungen seien nach der Sachlage und nach der Konstruktion der österreichisch-ungarischen Note ausgeschlossen. Serbien werde eine bündige Antwort zu geben haben. Erfolgt letztere in der gegebenen Frist überhaupt nicht oder nicht in befriedigender Weise, so erscheine die Angelegenheit vom diplomatischen Standpunkte aus erledigt und ihre weitere Austragung würde auf militärischem Wege statthaben. Welchen Lauf die Dinge weiterhin nehmen würden, hänge von den Entschließungen der serbischen Regierung ab7. Es habe sich aber bereits jetzt die bedingungsweise Notwendigkeit ergeben, für den Fall des Versagens der diplomatischen Mittel militärische Vorbereitungen zu treffen und zu diesem Zwecke sei sub conditione ein Ah. Mobilisierungsbefehl erbeten worden8. Der Ministerrat nimmt diese Mitteilungen zur Kenntnis.
II Verwendung des Landsturmes im Falle einer Mobilisierung
II. Der Ministerpräsident teilt mit, dass im Zusammenhange mit der bedingungsweisen Erwirkung des Ah. Mobilisierungsbefehles auch Ah. Anordnungen hinsichtlich des Landsturmes in gleich bedingter Weise zu erwirken waren. Der Minister für Landesverteidigung habe daher konditionell die Ah. Genehmigung dafür erbeten, dass der Landsturm in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern in jenem Umfange, als es die Interessen der Landesverteidigung erfordern, und nach Maßgabe des unumgänglichen Bedarfes aufgeboten und die ausnahmsweise Verwendung des Landsturmes außerhalb des Gesamtumfanges der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder angeordnet werde9. Die Voraussetzungen für die bedingungsweise Aufbietung des Landsturmes seien durch den möglichen Fall einer kriegerischen Bedrohung, die Notwendigkeit der eventuellen Verwendung des Landsturmes außerhalb des Gebietes der Reichsratsländer durch die maßgebenden militärischen Verhältnisse gegeben. In letzterer Hinsicht bestehe auch Gefahr im Verzuge, so dass die bezüglichen Anordnungen von Sr. Majestät unter Verantwortung der Regierung gegen nachträgliche Mitteilung an den Reichsrat zur genehmigenden Kenntnisnahme, also ohne die im Paragraph 5 des Landsturmgesetzes10 vorgesehene spezielle Ermächtigung durch ein Reichsgesetz erfolgen könne. In parenthesi sei zu bemerken, dass die gekennzeichnete Rechtslage sich nicht auf Tirol beziehe11, wo etwas andere gesetzliche Voraussetzungen bestehen. Der Ministerpräsident habe in Anbetracht der besonderen Dringlichkeit und der Unmöglichkeit, den Ministerrat rechtzeitig einzuberufen, vorläufig die Zustimmung zu jenen au. Unterbreitungen des Ministers für Landesverteidigung gegeben und erbitte nachträglich die Genehmigung des Ministerrates. Der Ministerrat erteilt diese Zustimmung.
II. Der Ministerpräsident teilt mit, dass im Zusammenhange mit der bedingungsweisen Erwirkung des Ah. Mobilisierungsbefehles auch Ah. Anordnungen hinsichtlich des Landsturmes in gleich bedingter Weise zu erwirken waren. Der Minister für Landesverteidigung habe daher konditionell die Ah. Genehmigung dafür erbeten, dass der Landsturm in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern in jenem Umfange, als es die Interessen der Landesverteidigung erfordern, und nach Maßgabe des unumgänglichen Bedarfes aufgeboten und die ausnahmsweise Verwendung des Landsturmes außerhalb des Gesamtumfanges der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder angeordnet werde12. Die Voraussetzungen für die bedingungsweise Aufbietung des Landsturmes seien durch den möglichen Fall einer kriegerischen Bedrohung, die Notwendigkeit der eventuellen Verwendung des Landsturmes außerhalb des Gebietes der Reichsratsländer durch die maßgebenden militärischen Verhältnisse gegeben. In letzterer Hinsicht bestehe auch Gefahr im Verzuge, so dass die bezüglichen Anordnungen von Sr. Majestät unter Verantwortung der Regierung gegen nachträgliche Mitteilung an den Reichsrat zur genehmigenden Kenntnisnahme, also ohne die im Paragraph 5 des Landsturmgesetzes13 vorgesehene spezielle Ermächtigung durch ein Reichsgesetz erfolgen könne. In parenthesi sei zu bemerken, dass die gekennzeichnete Rechtslage sich nicht auf Tirol beziehe14, wo etwas andere gesetzliche Voraussetzungen bestehen. Der Ministerpräsident habe in Anbetracht der besonderen Dringlichkeit und der Unmöglichkeit, den Ministerrat rechtzeitig einzuberufen, vorläufig die Zustimmung zu jenen au. Unterbreitungen des Ministers für Landesverteidigung gegeben und erbitte nachträglich die Genehmigung des Ministerrates. Der Ministerrat erteilt diese Zustimmung.
III
III. Der Ministerpräsident hebt hervor, dass der Reichsrat dermalen nur vertagt sei, so dass die Immunität der Abgeordneten fortbestehe15. Für den Fall einer Mobilisierung, wo es Aufgabe der Strafrechtspflege sein würde, allen Erschwerungen der militärischen Maßnahmen durch strenge Handhabung des Gesetzes entgegenzutreten, könnte die privilegierte Stellung der Reichsratsmitglieder unter Umständen eine schwere Behemmung bedeuten, weshalb dieses Privilegium durch Schließung der Session außer Kraft zu setzen wäre. Der sprechende Minister erbitte daher die Zustimmung des Ministerrates, an Ah. Stelle die in letzterer Richtung erforderliche Ah. Ermächtigung bedingungsweise zu erbitten.
III. Der Ministerpräsident hebt hervor, dass der Reichsrat dermalen nur vertagt sei, so dass die Immunität der Abgeordneten fortbestehe16. Für den Fall einer Mobilisierung, wo es Aufgabe der Strafrechtspflege sein würde, allen Erschwerungen der militärischen Maßnahmen durch strenge Handhabung des Gesetzes entgegenzutreten, könnte die privilegierte Stellung der Reichsratsmitglieder unter Umständen eine schwere Behemmung bedeuten, weshalb dieses Privilegium durch Schließung der Session außer Kraft zu setzen wäre. Der sprechende Minister erbitte daher die Zustimmung des Ministerrates, an Ah. Stelle die in letzterer Richtung erforderliche Ah. Ermächtigung bedingungsweise zu erbitten.
IV Gesetzliche und administrative Maßnahmen im Falle einer Mobilisierung
IV. Der Ministerpräsident führt weiter aus, dass im Falle der Mobilisierung eine Reihe von damit zusammenhängenden Maßnahmen für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder teils auf gesetzlichem, teils auf administrativem Wege zu treffen seien. In ersterer Richtung komme von jeher hiefür der Weg des Paragraphen 14 in Betracht19. Er erteile nunmehr dem Minister des Innern, dessen Ressort in den einschlägigen Belangen die führende Rolle einnehme, das Wort.
IV. Der Ministerpräsident führt weiter aus, dass im Falle der Mobilisierung eine Reihe von damit zusammenhängenden Maßnahmen für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder teils auf gesetzlichem, teils auf administrativem Wege zu treffen seien. In ersterer Richtung komme von jeher hiefür der Weg des Paragraphen 14 in Betracht20. Er erteile nunmehr dem Minister des Innern, dessen Ressort in den einschlägigen Belangen die führende Rolle einnehme, das Wort.
V Administrative Vorkehrungen auf der Basis des Kriegsleistungsgesetzes und interne administrative Vorbereitungen für den Fall einer Mobilisierung
V. Der Ministerpräsident erörtert sohin in allgemeinen Zügen die Notwendigkeit allfälliger weiterer im Orientierungsbehelfe27 nicht vorgesehener einschlägiger Maßnahmen, so gewisser administrativer Vorkehrungen auf der Basis des Kriegsleistungsgesetzes28 und verschiedener interner administrativer Vorbereitungen. Er richtet in diesem Zusammenhang an die Vertreter der einzelnen Ressorts das Ersuchen, alle Vorbereitungen so zu treffen, dass im Bedarfsfalle diese Verfügungen auf ein kurzes Aviso hin in Kraft treten können, und behält sich vor, für den Fall als aus formalen oder meritorischen Gründen eine Befassung des Ministerrates in der Folge notwendig sein sollte, die Konferenz nach Bedarf einzuberufen. Er nehme in diesem Sinne auch Akt von der ihm bereits bekannten Intention sämtlicher Mitglieder des Kabinetts, bis auf weiteres Wien nicht zu verlassen, was übrigens durch die Sachlage dermalen geboten erscheine.
V. Der Ministerpräsident erörtert sohin in allgemeinen Zügen die Notwendigkeit allfälliger weiterer im Orientierungsbehelfe29 nicht vorgesehener einschlägiger Maßnahmen, so gewisser administrativer Vorkehrungen auf der Basis des Kriegsleistungsgesetzes30 und verschiedener interner administrativer Vorbereitungen. Er richtet in diesem Zusammenhang an die Vertreter der einzelnen Ressorts das Ersuchen, alle Vorbereitungen so zu treffen, dass im Bedarfsfalle diese Verfügungen auf ein kurzes Aviso hin in Kraft treten können, und behält sich vor, für den Fall als aus formalen oder meritorischen Gründen eine Befassung des Ministerrates in der Folge notwendig sein sollte, die Konferenz nach Bedarf einzuberufen. Er nehme in diesem Sinne auch Akt von der ihm bereits bekannten Intention sämtlicher Mitglieder des Kabinetts, bis auf weiteres Wien nicht zu verlassen, was übrigens durch die Sachlage dermalen geboten erscheine.
Wien, am 23. Juli 1914. Stürgkh.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 22. September 1914. Franz Joseph.